Cochlea Implantat mit Medizintechnologie der Freudenberg Gruppe ermöglicht Sieglinde Wetterauer das Hören
„Sie unterhalten sich mit einer gehörlosen Frau. Aber ich kann sie hören und verstehen. Ist das nicht unglaublich?“ Sieglinde Wetterauer lächelt. Sie sieht ihr Gegenüber konzentriert an, wenn gesprochen wird. Wer nicht weiß, dass die Frau mit dem blonden Pagenschnitt hinter beiden Ohren Cochlea Implantate trägt, um zu hören, bemerkt nichts. „Mit Implantaten zu hören ist wie das Lesen eines Lückentextes, das Gehirn kombiniert die fehlenden Worte. Aber es bedeutet mehr Anstrengung und muss trainiert werden“, so Wetterauer. In Deutschland tragen rund 40.000 Menschen ein solches Implantat, Tendenz steigend. Möglich macht das innovative Medizintechnologie der Freudenberg Gruppe.
Die Geschäftsgruppe Freudenberg Medical nutzt als erster Hersteller die sogenannte HelixMicro-Technologie für Formteile aus Flüssigsilikon. „Mit unserer HelixMicro-Technologie stellen wir Mikroimplantate mit einem Gewicht von weniger als 0,001 Gramm her. In der Extrusion sind Schläuche mit Durchmessern von unter 0,2 Millimeter machbar“, so René Heilmann, Marketingleiter bei Freudenberg Medical. Die Komponenten von Freudenberg sorgen im Implantat außerdem für die Fixierung der einzelnen Bauteile und die Abdichtung der Prothese.
Nachdem Wetterauer bereits als Kind nicht gut hört, erlebt sie als Erwachsene innerhalb Jahresfrist zwei Hörstürze. Dadurch ertaubt sie auf beiden Ohren und durchlebt eine Lebenskrise. Wenn sie morgens duscht hört sie kein Wasser, auch der Fön macht kein Geräusch mehr. Stille. „Ich hatte große Angst, meine Freunde und meinen Arbeitsplatz als Assistentin der Geschäftsführung einer Mediengruppe zu verlieren, weil ich nicht mehr hören und kommunizieren kann“, sagt sie ernst. „Ich habe mich in unserer Leistungsgesellschaft über mein Können definiert und hatte das Gefühl, dass jetzt nichts mehr geht.“ Heute ist sie wieder im Leben angekommen: Seit 35 Jahren ist sie an ihrem Arbeitsplatz tätig, kann mit Zusatztechnik sogar wieder telefonieren. Die Anlage überträgt die Stimme des Anrufers direkt in ihr Ohr. „Trotzdem ist Telefonieren anspruchsvoll, auch Flüstern ist Hochleistungssport“, sagt Wetterauer. „Durch einen tiefen Fall bin ich in eine andere Welt hineingewachsen, die Welt der Nicht-Hörenden. Neue Freundschaften sind entstanden, alte erhalten geblieben. Es gibt immer wieder Momente des Rückzugs, weil ich nicht alles verstehe, aber ich habe eine neue, wichtige Aufgabe: Betroffenen helfen und das Thema Hörverlust positiv in die Gesellschaft tragen.“
Möglich machten ihre Rückkehr ins Leben Cochlea-Implantate. Wie funktionieren die? Die menschliche Hörschnecke sitzt im Innenohr. Sie arbeitet wie ein körpereigenes Mikrofon. Bei vielen Hörstörungen funktioniert die Hörschnecke nicht oder nur sehr eingeschränkt. Eine Verstärkung durch Hörgeräte reicht dann nicht mehr. In solchen Fällen kann ein Cochlea-Implantat helfen. Voraussetzung ist ein intakter Hörnerv. Das Implantat ersetzt als Prothese das Innenohr und wird in die Cochlea eingesetzt. Ein Implantat besteht aus einem Mikrofon, einer Sendespule, einem Sprachprozessor und dem eigentlichen Implantat mit den Elektrodenträgern. Mikrofon, Sendespule und Sprachprozessor werden hinter dem Ohr am Hinterkopf getragen. Das Mikrofon fängt die Schallwellen von außen ein und leitet sie an den Sprachprozessor weiter. Der wandelt die Schallwellen in elektrische Impulse um und schickt sie zur Sendespule. Von dort werden die Signale an die Elektroden in der Hörschnecke übertragen, die dann die unterschiedlichen Hörnerv-Abschnitte reizen. Vom Hörnerv wird das Reizmuster zum Gehirn geleitet, wo der komplette Höreindruck entsteht.
„Nach der ersten Operation konnte ich nicht gleich alles wieder verstehen. Die Technik muss justiert werden und dann beginnt ein Lernprozess. Die Geräusche klingen blechern und verzerrt, es ist schwierig, das Gehörte auch zu verstehen. Dazu benötigt es viele Stunden Logopädie und Training“, erklärt Wetterauer. Nach ihren Operationen liest ihre Schwester ihr jeden Tag Märchen für Erwachsene vor, deren Inhalt sie nacherzählen muss. So trainiert sie ihr Gehör zusätzlich. „In ruhiger Umgebung ist es einfacher, als auf Veranstaltungen mit vielen Menschen. Wenn ich das Mundbild meines Gegenübers sehe, langsam und deutlich gesprochen wird, funktioniert es besser. Wir können ähnliche Laute nur schwer unterscheiden.“ Wetterauer spricht oft von „Wir“, denn sie ist eine Botschafterin aus der Welt der Stille, will die Welt der Nicht-Hörenden erklären. Dabei geht sie auch bei der Arbeit offen mit dem Thema um, unter ihren E-Mails steht der Zusatz „… listening by cochlear implant“.
Seit 2013 leitet Wetterauer, die mit ihrem Mann in Bad Dürkheim lebt, die Selbsthilfegruppe Cochlear Implant Neustadt-Pfalz und gibt ihre Erfahrungen weiter. Sie organisierte Vorträge mit Experten über Zusatztechnik und Erlernen des Hörens, lud zu einem Patiententag ein und initiierte gemeinsam mit der Mannheimer Fotografin Nicole Simon einen Charity-Kunstkalender zum Thema Hörverlust. Außerdem ist ein Musik-Hörtraining geplant. Denn das Hören von Musik ist mit Implantat für zahlreiche Betroffene nur sehr schwer möglich, bedeutet aber eine starke Einschränkung in ihrem Alltag. „Die schönsten Momente dieser Arbeit sind für mich, wenn Betroffene, die sich aus dem Leben zurückgezogen haben durch Kontakte mit Gleichgesinnten und konstruktiver Unterstützung wieder aufblühen und selbst aktiv werden“, so Wetterauer.