Pragmatisch zum Ziel
Nicht große Ziele, sondern konsequente, beharrliche Arbeit im Detail ermöglicht es, die CO2-Emissionen in der Produktion zu verringern. Deutlich wird das bei einem Besuch im Werk Oberwihl, in dem Freudenberg Sealing Technologies jährlich mehr als eine Milliarde Dichtringe fertigt – mit zunehmend besserer Klimabilanz.
Zählte nur das Hier und Heute, gäbe es diese Geschichte nicht, denn noch vor Beginn des Rundgangs durch die Fabrik erläutert Hans Bruno Hänle das Dilemma, in dem sich jedes Produktionswerk befindet, das sich auf den Weg in Richtung Klimaneutralität macht. Als kaufmännischer Leiter der Division, die am Standort Oberwihl im südlichen Schwarzwald mehr als eine Milliarde Dichtringe pro Jahr produziert, hat er alle Zahlen im Blick. „Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen lohnen sich nach klassischen Finanzkennzahlen oft nicht“, sagt er. „Wenn wir aber über längere Zeiträume denken, müssen wir berücksichtigen, dass sich das ändern kann, zum Beispiel durch steigende Preise für fossile Energierohstoffe.“ Zudem werde bei immer mehr Kunden die Klimabilanz der Lieferanten zu einem Kriterium in der Beschaffung. Dass Oberwihl unter den deutschen Freudenberg-Standorten die Rolle eines Pilotstandorts für den Weg in die Klimaneutralität einnimmt, ist also nicht nur eine Frage der ökologischen, sondern auch der ökonomischen Nachhaltigkeit.
Modellstandort für gruppenweite Nachhaltigkeits-Initiative
Am Anfang des Wegs, der noch längst nicht abgeschlossen ist, stand eine Analyse, angestoßen durch die Unternehmensleitung der Freudenberg-Gruppe, die im Jahr 2019 zwei Modellstandorte suchte. Dass sich Oberwihl hierfür qualifizierte, war kein Zufall, sondern das Resultat harter Detailarbeit. Bereits in den Jahren zuvor hatte das Standortmanagement die Energieeffizienz der Gebäude deutlich gesteigert und ein System für das Energiemonitoring installiert, mit dem der Energieverbrauch einzelner Fertigungsabschnitte genau beobachtet werden konnte.
Damit war die Basis gelegt für den ersten Analyseschritt, der durch einen externen Energiedienstleister erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt resultierte der Energieverbrauch des Werks jährlich in einer CO2-Emission von rund 4.500 Tonnen, wovon 87 Prozent auf die Nutzung des extern eingekauften Stroms entfielen – etwas mehr als der Durchschnitt in der Freudenberg-Gruppe. Der Rest der Emissionen entstand durch das Verbrennen von Heizöl, das für die Gebäudeheizung benötigt wurde. Der Fokus des ersten Analyseschritts lag darauf, mit welchen Maßnahmen die klimaschädlichen Emissionen tatsächlich abgesenkt werden könnten – Kompensationsmaßnahmen in Form von Ausgleichszahlungen, etwa für Wiederaufforstung, blieben außen vor.
In einer zweiten, deutlich detaillierteren Analyse durch einen weiteren Energiedienstleister wurden dann konkret umsetzbare Maßnahmen erarbeitet. Im Kern lassen sich diese in drei Teilbereiche gliedern: erstens die Energieeffizienz weiter steigern, zweitens die noch benötigte Wärmeenergie so weit als möglich ohne fossiles Heizöl bereitstellen und drittens so viel Grünstrom dezentral erzeugen, wie es wirtschaftlich sinnvoll ist. Unter den zahlreichen Einzelmaßnahmen ragt die Umstellung der Gebäudeheizung hervor: Sie wird sukzessive auf Holzhackschnitzel umgestellt, ein nachwachsender Rohstoff, der in der Region reichlich vorhanden ist und zudem als Abfallprodukt der Holzwirtschaft nach Abnehmern sucht. Die Installation zweier Holzbrennkessel samt automatischer Befüllung ist weit vorangeschritten – im ersten Quartal 2023 soll die Anlage in Betrieb gehen. Der zweite Schritt, die Installation eines kleinen Blockheizkraftwerks, ist noch in Prüfung. „Damit wäre es möglich, den Verbrauch fossilen Heizöls um bis zu 96 Prozent zu verringern“, erläutert Standortleiter Dr. Rainer Weiss.
Lernort Oberwihl
Das Beispiel der Holzhackschnitzel zeigt aber auch: Die konkreten Maßnahmen, für die sich ein Standort entscheidet, hängen von regionalen Gegebenheiten ab – und natürlich von den konkreten Produktionsprozessen vor Ort. „Befände sich dieses Werk mitten in einem Ballungsgebiet, würde sich eine Holznutzung weniger eignen“, so Hänle. Dennoch glaubt er fest daran, dass Freudenberg-Standorte voneinander lernen können, vor allem, was das methodische Vorgehen betrifft. So rät Hänle dazu, immer externe Expertise hinzuzuziehen: „Unabhängige Energieberater haben nicht nur einen unverstellten Blick, sondern sie kennen auch die regional unterschiedlichen Fördermaßnahmen.“ Die Holzheizung in Oberwihl wird beispielsweise öffentlich gefördert, was wesentlich zu einer schnelleren Amortisation beiträgt. Greifbarer wird das Lernen zwischen den Standorten, wenn es um das Energiemonitoring geht. Um konkrete Maßnahmen – etwa den Austausch der Antriebe für einen Mischer oder ein Walzwerk – bewerten zu können, muss zunächst einmal deren tatsächlicher Energieverbrauch bekannt sein. „Man muss das Rad nicht immer wieder neu erfinden, das ist doch der große Vorteil, zu einer weltweit tätigen Unternehmensgruppe zu gehören“, sagt Hänle.
Noch wichtiger als einzelne Methodenbausteine ist vielleicht eine andere Erkenntnis, die sich aus den Fortschritten in Oberwihl gewinnen lässt: Es sind nicht die ganz großen Lösungen, die auf einen Schlag ins Ziel führen. „Beharrlichkeit und Pragmatismus in Planung und Umsetzung vieler Einzelmaßnahmen zahlen sich aus“, sagt auch Hänle. Er sei froh, in einem Unternehmen zu arbeiten, das so langfristig orientiert sei. Schritt für Schritt, das zeigt das Beispiel Oberwihl, ist so Nachhaltigkeit in allen Dimensionen zu erreichen.